In der Welt der Startups ist die Vision oft groß, die Energie grenzenlos – aber die Liquidität begrenzt. Als Business Angel habe ich über die Jahre viele Gründer:innen begleitet, die mit brillanten Ideen gestartet sind, aber an einem simplen, oft unterschätzten Thema gescheitert sind: dem Cashflow.
Profitabilität ist nicht gleich Zahlungsfähigkeit
Ein weit verbreiteter Irrtum unter Gründer:innen lautet: „Wir sind profitabel, also geht’s uns gut.“ Doch Profitabilität bedeutet nicht automatisch, dass genug Geld auf dem Konto ist, um Rechnungen zu bezahlen. Ein Startup kann auf dem Papier Gewinne ausweisen, aber dennoch zahlungsunfähig sein – etwa wenn Kunden spät zahlen, hohe Investitionen in Vorräte oder Equipment getätigt wurden oder wenn laufende Kosten die Liquidität auffressen.
Gerade in der Frühphase eines Unternehmens ist der Cashflow oft fragil. Einnahmen sind unregelmäßig, Ausgaben hingegen konstant. Wer hier nicht vorausschauend plant, riskiert, trotz guter Geschäftsidee und positiver Bilanz in die Insolvenz zu rutschen.
Cashflow-Prognosen: Frühwarnsystem und Steuerungsinstrument
Eine gute Cashflow-Prognose ist mehr als eine Excel-Tabelle – sie ist das Navigationssystem für unternehmerische Entscheidungen. Sie zeigt, wann Geld reinkommt, woher es kommt und wohin es fließt. So lassen sich Liquiditätsengpässe frühzeitig erkennen und vermeiden.
Zwei Methoden der Cashflow-Prognose
Das Tool LivePlan empfiehlt zwei gängige Methoden:
1. Direkte Methode:
Einnahmen minus Ausgaben. Einfach, intuitiv und besonders geeignet für Startups mit überschaubaren Transaktionen.
2. Indirekte Methode:
Startet beim Gewinn und korrigiert um nicht zahlungswirksame Posten wie Abschreibungen oder offene Rechnungen. Diese Methode ist komplexer, aber besonders hilfreich bei wachstumsstarken Unternehmen mit vielen Buchungsvorgängen.
Beide Methoden sind valide – entscheidend ist, dass Gründer:innen überhaupt eine Prognose erstellen und diese regelmäßig aktualisieren. Denn eine einmalige Planung reicht nicht aus: Märkte verändern sich, Kundenverhalten schwankt, externe Faktoren wie Zinssätze oder geopolitische Entwicklungen wirken sich direkt auf die Liquidität aus.
Moderne Tools: KI, Szenarienplanung und Echtzeitdaten
Die Digitalisierung hat auch das Cashflow-Management revolutioniert. Moderne Tools wie LivePlan, Fathom oder Floatbieten weit mehr als nur Tabellenkalkulationen:
KI-gestützte Vorschläge:
Tools erkennen Muster in Einnahmen und Ausgaben und schlagen automatisch Kategorien oder Trends vor.
Szenarienplanung:
„Was passiert, wenn…?“ – Gründer:innen können verschiedene Zukunftsszenarien durchspielen, etwa verspätete Finanzierungsrunden, Umsatzrückgänge oder plötzliche Kostensteigerungen.
Integration mit Buchhaltungssoftware:
Echtzeitdaten aus Tools wie Xero, QuickBooks oder DATEV fließen direkt in die Prognose ein – das spart Zeit und erhöht die Genauigkeit.
Gerade in Zeiten volatiler Märkte – wie wir sie 2025 erleben – ist es essenziell, verschiedene Szenarien durchzuspielen. Die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen zu reagieren, entscheidet über die Überlebensfähigkeit eines Startups.
Cashflow-Kompetenz als Investitionskriterium
Als Business Angel achte ich längst nicht nur auf das Pitchdeck oder die Vision – ich frage:
Wie gut versteht das Team seine Zahlen?
Gibt es eine belastbare Cashflow-Prognose?
Wie wird mit offenen Forderungen umgegangen?
Wie flexibel ist das Geschäftsmodell bei Liquiditätsengpässen?
Startups, die hier überzeugen, haben nicht nur bessere Chancen auf Finanzierung – sie sind auch langfristig erfolgreicher. Denn Investoren investieren nicht nur in Ideen, sondern in die Fähigkeit, diese nachhaltig umzusetzen. Und dazu gehört ein solides Finanzmanagement.
Praxisbeispiel: Vom Liquiditätsloch zur Skalierung
Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung: Ein junges SaaS-Startup hatte ein starkes Produkt, erste zahlende Kunden und ein motiviertes Team. Doch die Liquidität war knapp – Rechnungen wurden spät bezahlt, Rücklagen gab es kaum. Die Gründer:innen hatten keine Cashflow-Prognose, sondern verließen sich auf ihr Bauchgefühl.
Nach einem intensiven Workshop zur Liquiditätsplanung und der Einführung eines Tools zur Szenarienanalyse änderte sich das Bild: Das Team erkannte, wann Engpässe drohten, plante gezielt Zahlungsziele und verhandelte mit Lieferanten. Innerhalb von sechs Monaten war das Startup nicht nur stabil, sondern bereit für die nächste Finanzierungsrunde.
Liquidität als strategischer Erfolgsfaktor
Cashflow-Management ist kein lästiges Muss, sondern ein strategischer Erfolgsfaktor. Wer seine Liquidität im Griff hat, kann:
Mutig wachsen: Investitionen tätigen, neue Märkte erschließen, Talente einstellen.
Krisen souverän meistern: Auf Umsatzrückgänge oder externe Schocks reagieren.
Vertrauen schaffen: Bei Investor:innen, Banken und Partnern.
Dabei geht es nicht nur um Kontrolle, sondern um Gestaltung. Eine gute Prognose zeigt nicht nur Risiken, sondern auch Chancen – etwa den besten Zeitpunkt für Expansion oder die Möglichkeit, kurzfristig Kapital freizusetzen.
Tipps für Gründer:innen
Früh anfangen: Cashflow-Prognosen sollten ab Tag 1 Teil der Unternehmensplanung sein.
Regelmäßig aktualisieren: Mindestens monatlich, besser wöchentlich.
Tools nutzen: Automatisierung spart Zeit und erhöht die Genauigkeit.
Szenarien durchspielen: Was passiert bei +20% Umsatz? Was bei -30%?
Offen kommunizieren: Mit Investor:innen, Banken und Teammitgliedern.
Fazit: Cash ist nicht alles, aber ohne Cash ist alles nichts
Gründer:innen sollten früh lernen, dass Liquidität nicht nur ein Finanzthema ist, sondern ein strategisches. Wer seine Zahlen kennt, kann nicht nur überleben, sondern gestalten. Cashflow-Prognosen sind dabei das zentrale Instrument – sie machen aus Visionen Realität.
In einer Welt, in der Ideen schnell wachsen, Märkte sich rasant verändern und Kapital nicht unbegrenzt verfügbar ist, gilt mehr denn je: Liquidität ist König.